Dienstag, 25. Januar 2011
25. Jan. 2006
25. 1. 2006, Mittwoch

Der Weg zum Arzt fällt mir elend schwer, jetzt ist mir auch noch schlecht von den blöden Tabletten. In der Praxis eine VIP-Begrüßung: „Wollen Sie sich nicht setzen? Ein Glas Wasser? Der Arzt kommt gleich zu Ihnen!“ Das Mediziner-Ehepaar kommt zu zweit, befühlt noch einmal – gaaanz vorsichtig – meinen Bauch. Der zeigt überhaupt keine Symptomatik. Nein, Durchfall habe ich auch nicht. Nur tief unten drin, da ist Schmerz. Vielleicht der Blinddarm?

Nun wird mir eröffnet, die Blutwerte seien so eindeutig schlecht, dass ich sofort in die Klinik müsse, nicht mehr nach Hause, keine Zahnbürste holen, gar nichts. Mein Mann wird gerufen und fährt mich unrasiert in die nächste Notaufnahme. Angekommen schicke ich ihn nach Hause. Ich bin ja jetzt gut versorgt, und so ein muckender Blinddarm ist sicher kein Todesurteil heutzutage.

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Der in der Notaufnahme tätige Arzt scheut sich nicht, seine Ratlosigkeit zu zeigen. Es müsste sich doch irgendeine Abwehrspannung im Bauchbereich zeigen, jede sonst für den Appendix schmerzhafte Testbewegung schaffe ich ungerührt. Da ist nur dieses seltsame Gefühl, tief unten, tief drinnen. Also bekomme ich einen Laufzettel für weitere Diagnostik. Den in der Hand ziehe ich alleine los, treppauf, treppab. Ich denke daran, dass just in dieser Klinik vor Kurzem ein Toter im Heizungskeller entdeckt wurde. Aber ich komme immer überall an.

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Nach ca. 2 Stunden bin ich wieder in der Notaufnahme. Die Ärztin in der Sonografie hat was in der Leber gefunden, drei Bezirke hat sie eingekreist. Aber da liege mit Sicherheit nicht die Ursache meiner Beschwerden. Es könne sehr wohl der Blinddarm sein. Der Gynäkologe erklärt sich nach gründlicher Untersuchung für nicht zuständig, aber er schreibt einige Kürzel auf den Laufzettel, die ich damals noch nicht verstehe.

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Endlich, der Oberarzt kommt in die Notaufnahme, ein entschlussfreudiger Chirurg. „Da müssen wir eben im Bauch laparoskopisch nachsehen, vielleicht können wir den Blinddarm dann auch gleich rausholen.“

Ich werde in ein Anstaltshemd gehüllt und bin somit eingekleidete Patientin. Außerdem darf ich ab jetzt nur noch liegen.

Auf den langen Fahrwegen zum OP gesellt sich ein Anästhesist an meine rechte Seite, ich unterschreibe dies und das. Links taucht der Chirurg auf und liest in meinem Laufzettel. Aus tiefem Nachdenken heraus sagt er: „Das kann aber auch ein Kolon-karzinom sein, dann wacht sie mit einem Anus praeter auf.“ Ich fahre hoch, falle fast von Liege. „Aber nein, das ist etwas ganz Seltenes, denken sie nicht daran!“

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Kurz drauf denke ich tatsächlich nichts mehr.

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Gut, dass der Arzt seinen merkwürdigen Satz noch hat herausrutschen lassen. Als ich aus der Narkose auftauche, höre ich es wieder hinter meinem Rücken: Anus praeter. Ich weiß, was das heißt und erkenne, was es für mich bedeutet. Ich will mir jetzt nicht vorstellen, was der dicke Verband um meinen aufge- schnittenen Bauch verbirgt.

Vorerst versucht man, meinen Fragen auszuweichen, das ist ja wohl gut gemeint. Mich quält noch eines: „Was war da mit der Leber?“ Ich soll es bald herauskriegen, drei Kreise im Bild, drei Metastasen vom Dickdarmkrebs.


Wann dieser Tag in die Nacht und zu Ende gegangen ist, weiß ich nicht. Halbbetäubt auf der Intensivstation nimmt man das nicht so richtig wahr. Irgendwann kam mein Mann zu Besuch, irgendwann kamen meine Kinder, alle in grünes Papier gehüllt und sehr fremd. Niemand von ihnen hatte mit einem Arzt geredet, sie gratulierten mir zur überstandenen Operation. Und so blieb es mir selbst überlassen, die Geschichte vom Blinddarm richtig zu stellen. Der war völlig gesund und ist es heute noch. Der ja!

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